Nach „Widerstand“ und „Heldentod“ wird im fünften Band der
Second Dekade das Thema Borg erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Im Hinblick
auf das sich anschließende Crossover der „Destiny“-Reihe war wohl kaum zu
verhindern, dass hier die Borg einen erneuten Auftritt bekommen würden. Diesmal
hat Christopher L. Bennet den Stab übernommen. Seine Interpretation des Themas
kann sich durchaus sehen lassen.
Darum geht es: Das Raumschiff Rhea ist der Quelle von
seltsamen Quantenenergien auf der Spur, die einen Teil des Weltalls
durchfluten. Ein Außenteam, dem die Halbvulkanierin Lieutenant T’Ryssa Chen
angehört, findet sehr seltsame Lebensformen. Zwar gelingt es T’Ryssa Chen einen
schwachen telepathischen Kontakt zu den Lebewesen herzustellen, aber bevor man
nähere Untersuchungen anstellen kann, taucht die Einstein, ein von den Borg in
„Heldentod“ assimiliertes Sternenflottenschiff auf und greift die Rhea an. Kurz
bevor der Landetrupp auch assimiliert wird, versetzen die Lebewesen die
Halbvulkanierin mittels eines Quanten-Slipstreams binnen Sekundenbruchteilen
auf einen 2000 Lichtjahre entfernten Planeten. Dass die Borg gerade von einer
solch mächtigen Technologie besser nicht Besitz ergreifen sollten, dürfte klar
sein. Ebenso steht fest, wer auch diesmal die Kartoffeln aus dem Warpkern holen
darf. Es wird Zeit, dass die Enterprise und Captain Picard auf den Plan treten,
um den Borg Einhalt zu gebieten. Diesmal hat Jean-Luc sogar eine Blankovollmacht
der Föderation im Rücken: Er darf tun, was immer nötig ist, um die Borg
aufzuhalten.
Das Thema scheint nach diesem Intro, das ich, leicht
abgewandelt, der Inhaltsangabe auf der Rückseite des Umschlages entnommen habe,
vorgegeben zu sein. Tatsächlich ist der Kampf gegen die Borg aber nur ein
Handlungsstrang, der teilweise völlig in den Hintergrund tritt. Bennet stattet
seine Charaktere mit einer Menge familiärer Facetten aus. Familienbeziehungen
werden im Verlauf der Handlung extra großgeschrieben. Fast jeder der Akteure
bekommt die Gelegenheit, seine Erfahrungen und Meinungen zu diesem Thema
preiszugeben. Sei es das gestörte Mutter-Tochter-Verhältnis, das T’Ryssa Chen
geprägt hat, Beverly Crushers Erfahrungen, einen Wunderknaben wie Wesley großzuziehen,
oder die zweite Offizierin Kadohata, die Mann und Kinder daheim gelassen hat,
um zwischen den Sternen zu reisen. Auch Worf darf über seine Erfahrungen
sprechen. Picard hingegen trägt sich in diesem Zusammenhang mit dem Gedanken,
mit seiner neuen Lebensgefährtin Beverly Crusher eine Familie zu gründen.
Dazu passt dann auch, dass der abtrünnige Borg Hugh zur
Enterprise stößt und diese um Hilfe bittet, ihm und seiner ebenfalls durch die
Assimilierung sterilisierten Anhängerschaft aus ehemaligen Borgdrohnen die
Möglichkeit zu , sich normal fortzupflanzen. Die Borg auf der Einstein haben
damit keine Probleme. Als Antithese zu dem Familienkonzept steht hier die
Assimilation in das Kollektiv. Dadurch ist eine umständliche Reproduktion nicht
notwendig – benötigter Nachwuchs wird einfach für das Kollektiv
zwangsrekrutiert. Zum guten Schluss empfand ich das ständig wiederkehrende
Familienthema als zu viel des Guten. Das bleibende Fazit, dass es ohne Familie
nicht geht, hätte man auch weniger umständlich verpacken können.
Der eigentliche Star des Romans war für mich die völlig
untypische Halbvulkanierin T’Ryssa. Sie ist undiszipliniert und vorlaut. Damit
ist sie das krasse Gegenstück zu den typisch stoischen Vulkaniern, die man zu
Genüge kennt. Ihre besonderen Fähigkeiten, besonders die, die es ihr
ermöglicht, mit den fremden Lebewesen Kontakt aufzunehmen, schaffen erst die
besondere Bühne, auf der T’Ryssa überhaupt auftreten kann. Die Auftritte des
quirligen Lieutenants haben die Story erheblich aufgelockert. Die Einstellung
der rätselhaften Aliens, die über enorme Fähigkeiten verfügen, aber Gewalt
ablehnen, stellt die Besatzung des Raumschiffs vor neue ungeahnte
Herausforderungen. Diesmal bringen Waffen Picard nicht weiter, wenn er die Borg
besiegen will. Diesmal muss er sich auf seine diplomatischen Fertigkeiten
verlassen – und auf die oben gena
nnte Halbvulkanierin.
Als besonderes Bonbon macht sich Julian Wangler in einem
kleinen Essay mit dem Titel „Abenteuer im großen Abteuer“ Gedanken um die
Familienbande im „Star Trek“-Franchise.
Fazit: „Mehr als die Summe“ bietet als fünfter Band der
Reihe eine neuerliche Version des Borg-Themas, diesmal kombiniert mit einem
heiklen Erstkontakt mit einer fremden und sehr mächtigen, wenn auch extrem
friedfertigen Spezies. Die Einstellung der Lebewesen stellt eine große und auch
die wichtigste Herausforderung für die Enterprise-Besatzung dar. Die Borg
geraten im Gegensatz dazu Staffage. Picard und Co. sinnieren dabei immer wieder
über die Bedeutung von Familie und Kindern, während Picard darüber nachdenkt,
endlich selber eine Familie mit Dr. Chrusher zu gründen – was mit etwa 75
Jahren höchste Zeit ist. Das Familienthema dominiert den Roman in zahlreichen
Facetten und lässt den Kampf gegen die Borg Stellenweise zur Nebenhandlung
verkommen. Schön fand ich vor allem die liebevoll in Szene gesetzten
Charaktere. Ein Blick auf das Borg-Schiff und deren Ansichten zu dem Thema
hätten mich gefreut. So blieben die feindlichen Borg im Großen und Ganzen nur
gesichtslose Feinde. Der Roman ist weit weniger spektakulär ausgefallen als der
Vorgängerband „Heldentod“. Statt endloser Materialschlachten und zigtausenden
Toten, werden hier vor allem persönliche Veränderungen im Gefüge der Besatzung
der U.S.S. Enterprise präsentiert. Der Roman leitet am Ende direkt in das Szenario
der „Destiny“- Reihe über, die sich inhaltlich nahtlos anschließen. Wer sich
auf „Destiny“ einstimmen will, kommt an „Mehr als die Summe“ nur schwer vorbei.
Star Trek TNG: Mehr als die Summe
Film/Serien-Roman
Christopher
L. Bennett
Cross Cult
2010
ISBN: 978-3941248-65-6
329 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 12,80
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